BGH definiert Aufklärungspflichten von Verkäufern bei Immobilientransaktionen im Zeitalter virtueller Datenräume

Der BGH hat in seinem Urteil vom 15.09.2023 (V ZR 77/22) entschieden, dass der Verkäufer eines Grundstücks seiner Aufklärungspflicht hinsichtlich offenbarungspflichtiger Umstände nicht automatisch dadurch nachkommt, dass der Verkäufer dem Käufer die entsprechenden Unterlagen und Informationen in einem virtuellen Datenraum zur Verfügung stellt. Vielmehr würde die Übermittlung über einen entsprechenden Datenraum hierfür nur dann ausreichen, wenn der Verkäufer aufgrund der Umstände des Einzelfalls die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird.

Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Rückabwicklung eines zwischen ihnen abgeschlossenen notariellen Kaufvertrags über mehrere innerhalb eines größeren Immobilienobjekts liegende Gewerbeeinheiten zu einem Kaufpreis von ca. EUR 1,5 Mio.

Der Kaufvertrag enthielt eine Regelung, in der die Parteien bestätigten, dass der Verkäufer dem Käufer die Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre übergeben und der Käufer vom Inhalt der Unterlagen Kenntnis erlangt hat.

Im Rahmen der Vertragsverhandlungen gewährte der Verkäufer dem Käufer Zugriff auf einen vom Verkäufer gepflegten Datenraum mit grundstücksbezogenen Unterlagen zur Durchführung der käuferseitigen Due Diligence. Erst drei Tage vor dem Beurkundungstermin, einem Freitag, stellte der Verkäufer die seit 12 Jahren zu führende Beschlusssammlung in den Datenraum ein. Darin enthalten war ein drei Jahre altes Protokoll einer Eigentümerversammlung, aus dem sich ergab, dass auf den Käufer Baukosten von anteilig bis zu EUR 50 Mio. umgelegt werden könnten. Die entsprechende Beschlussfassung wurde in der Eigentümerversammlung zwar abgelehnt. Dagegen hat einer der Eigentümer des Gesamtobjekts jedoch Klage erhoben. Das entsprechende Gerichtserfahren endete nach Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags mit einem Vergleich, wonach von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage von bis zu EUR 50 Mio. für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum erhoben werden sollte.

Daraufhin erklärte der Käufer die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung und verklagte den Verkäufer unter anderem auf Freistellung der Darlehensverbindlichkeiten bzw. hilfsweise auf Rückzahlung des Kaufpreises.

Entscheidung

Der BGH hat der Revision des Käufers stattgegeben und bestätigte insbesondere einen Anspruch des Käufers auf Schadensersatz aufgrund vorvertraglicher Pflichtverletzung des Verkäufers. In dem Verhalten des Verkäufers könne sowohl eine Aufklärungspflichtverletzung als auch eine arglistige Täuschung gesehen werden.

Bei dem Kostenumfang für die anstehenden Sanierungsmaßnahmen in der Größenordnung von EUR 50 Mio. handele es sich um einen offenbarungspflichtigen Umstand, über den der Verkäufer auch ungefragt hätte aufklären müssen. Denn es bestehe nach der ständigen Rechtsprechung des BGH eine Pflicht des Verkäufers, den Käufer über Umstände aufzuklären, die den Vertragszweck des Käufers vereiteln können und daher für seinen Entschluss von wesentlicher Bedeutung sind. Ohne Bedeutung sei dabei im konkreten Fall, dass der entsprechende Beschluss von der Eigentümerversammlung zunächst abgelehnt worden ist, denn für den Käufer bestünde weiterhin die Gefahr der Kostenumlegung im Fall einer erfolgreichen Anfechtung des Beschlusses.

Dieser Aufklärungspflicht sei der Verkäufer nicht nachgekommen. Die dem Käufer eingeräumte Möglichkeit, von den offenlegungspflichtigen Umständen durch Einblick in den virtuellen Datenraum selbstständig Kenntnis zu nehmen, hat nach Ansicht des BGH’s die Aufklärungspflicht des Verkäufers vorliegend nicht entfallen lassen.

Zwar könne die Bereitstellung von Informationen und Unterlagen in einem virtuellen Datenraum das Erfordernis einer gesonderten Aufklärung durch den Verkäufer entfallen lassen. Dies jedoch nur, wenn der Verkäufer berechtigterweise erwarten darf, dass der Käufer offenlegungspflichtige Informationen wahrnehmen und in seine Kaufentscheidung einbeziehen wird.

Im vorliegenden Fall, in dem ein entscheidungserhebliches Dokument erst am Freitag vor dem für den darauffolgenden Montag vereinbarten Beurkundungstermin in den Datenraum nebst weiterer Dokumente hochgeladen wurde, konnte der Verkäufer nach Ansicht des BGH’s nicht erwarten, dass der Käufer dieses noch rechtzeitig wahrnehmen und in seine Kaufentscheidung einbeziehen werde.

Praxishinweis

Das Urteil des BGH’s enthält keine Verschärfung der Aufklärungspflichten für Immobilienverkäufer. Vielmehr macht es deutlich, wie ein Verkäufer im digitalen Zeitalter seinen bestehenden Aufklärungspflichten im Rahmen der marktüblichen Einbindung von virtuellen Datenräumen und automatisierten Q&A-Prozessen gerecht werden kann.

Für den Verkäufer ergibt sich aus der zitierten BGH-Entscheidung, dass bei der Offenlegung von Informationen und Unterlagen in einem elektronischen Datenraum eine besondere Sorgfalt walten zu lassen ist. So genügt es bspw. nicht, die für die Transaktion wesentlichen Unterlagen ungeordnet oder erst kurz vor der Beurkundung des Kaufvertrages in einen digitalen Datenraum einzustellen. Vielmehr hat die Verkäuferseite stets darauf zu achten, dass die im Datenraum enthaltenen Informationen und Unterlagen es der Käuferseite ermöglichen, ein vollständiges und umfassendes Bild vom Kaufgegenstand – und zwar rechtzeitig vor dem Vertragsschluss – zu erhalten.

Ein ausreichender Schutz des Verkäufers lässt sich im Falle von Mängeln bei der Erfüllung vorvertraglicher Aufklärungspflichten nicht allein durch eine den Verkäufer günstige Kaufvertragsgestaltung gewährleisten. Zwar mag eine vorsichtige Vertragsgestaltung die Risiken wesentlich eindämmen, jedoch zeigt das vorliegende Urteil eindrücklich, dass auch Vertragsregelungen, wonach bspw. der Käufer bestätigt, bestimmte Unterlagen erhalten und zur Kenntnis genommen zu haben, dem Verkäufer wenig Schutz bieten, wenn bei der Pflege des Datenraums oder der Durchführung des Q&A-Prozesses unsauber gearbeitet wurde.

Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, die für die Vertragsgestaltung zuständigen Rechtsberater frühzeitig in den vorvertraglichen Informationsprozess einzubinden. Auf diese Weise können Risiken frühzeitig erkannt, vermieden und/oder vertraglich eingedämmt werden.

In der Praxis werden seitens der Verkäufer häufig auch externe Berater (bspw. Makler) mit der Pflege von Datenräumen beauftragt. In solchen Fällen ist zwingend darauf zu achten, dass diese über die notwendigen Informationen verfügen, um den Aufklärungspflichten des Verkäufers gerecht zu werden. Ein etwaiges Verschulden externer Berater im Rahmen der Pflege des Datenraums wird in der Regel dem Verkäufer zugerechnet.

Das Urteil des BGH’s lässt zudem erwarten, dass professionelle Verkäufer weiterhin bevorzugt mit Kaufinteressenten verhandeln werden, die bestätigen, eine umfassende Due Diligence durchzuführen. Denn wie der BGH zurecht bemerkt, kann ein Verkäufer einer Immobilie von einem Käufer, der eine Due Diligence durchführt, eher erwarten, dass dieser die in einem virtuellen Datenraum zur Verfügung gestellten Unterlagen vollständig durchsehen und deren jeweilige Bedeutung für seine Kaufentscheidung überprüfen wird, als von einem Käufer, der keine Due Diligence durchführt – und hierauf kommt es für eine Enthaftung des Verkäufers nach der Rechtsprechung des BGH’s maßgeblich an.

Das eingangs zitierte Urteil des Bundesgerichtshofs ist im Volltext hier kostenlos abrufbar.

Gerne begleiten wir Sie rechtlich bei der Planung und Durchführung Ihrer Immobilientransaktionen sowohl auf der Käufer- als auch auf der Verkäuferseite.

Die Autorin bedankt sich bei Herrn Kollegen Moritz Dittmer für die Zusammenarbeit bei der Abfassung dieses Beitrags.

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Valeria Kupreeva Rechtsanwältin, Diplom-Juristin (RUS) kupreeva@knauthe.com
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