Coronabedingte Anpassung der Miete bei Gewerberäumen wegen Störung der Geschäftsgrundlage

Mit Urteil vom 12. Januar 2022 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein Mieter von Gewerberäumen nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage eine temporäre Anpassung der Miete verlangen kann, wenn der Geschäftsbetrieb aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geschlossen wird. Die Gerichte müssen jedoch jeden Einzelfall genau prüfen.

Die Entscheidung in Kürze

Der Bundesgerichtshof hatte über eine Klage eines Vermieters gegen einen Mieter von Gewerberäumen auf Mietzahlung zu entscheiden. Der Mieter musste aufgrund einer coronabedingten behördlichen Anordnung  das betroffene Geschäft während des ersten Lockdowns vom 19. März bis zum 19. April 2020 schließen. Infolgedessen zahlte der Mieter für den Monat April keine Miete. Der Mieter machte geltend, dass die Miete wegen der behördlichen Schließungsanordnung gemindert bzw. die Miete nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage anzupassen sei. Der Vermieter machte hingegen die volle Miete geltend.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs führen behördliche Allgemeinverfügungen nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands. Eine Mietminderung kommt daher nicht in Betracht. Die behördlich angeordnete Geschäftsschließung knüpft allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS‑CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Dem Mieter wird dadurch aber nicht die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume verwehrt. Auch dem Vermieter wird weder tatsächlich noch rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt steht trotz der Schließungsanordnung weiterhin als solches zur Verfügung. Ein vertraglich vereinbarter Mietzweck zur „Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts“ begründet keine Pflicht des Vermieters für hoheitlich angeordnete Öffnungsuntersagungen einzustehen.

Die Geschäftsschließung aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie gewährt dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen aber nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Anpassung der Miete. Die vielfältigen coronabedingten behördlichen Maßnahmen hatten massive Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des Lockdowns im Frühjahr 2020. Dadurch ist die Erwartung der vertragsschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrages nicht ändern, in besonderem Maße erschüttert worden. Dies rechtfertigt die Annahme einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage.

Der Bundesgerichtshof führt jedoch aus, dass dem Mieter hierfür das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar sein muss. Dies ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, zu ermitteln. Die Folgen umfangreicher staatlicher Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie sind als die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos anzusehen. Sie können und dürfen keiner Vertragspartei allein aufgebürdet werden. Ob dem Mieter das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist und in welchem Ausmaß er eine Anpassung der Miete verlangen kann, ist durch eine umfassende Abwägung im Einzelfall zu ermitteln.

Der Fall ist jedoch noch nicht abschließend entschieden, denn der Rechtsstreit wurde zur Entscheidung an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen.

Der Bundesgerichtshof hat dem Oberlandesgericht Leitlinien formuliert, anhand derer die gebotene Einzelfallabwägung vorzunehmen ist, um zu prüfen, ob das Festhalten am bestehenden Vertrag unzumutbar ist:

  • Dabei sind die Nachteile zu berücksichtigen, die dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Bei einem gewerblichen Mieter sind diese primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung zu sehen.
  • Es ist aber nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen etwaigen Konzernumsatz abzustellen.
  • Es kann auch eine Rolle spielen, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder hätte ergreifen können, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu reduzieren.
  • Eine Vertragsanpassung darf jedoch nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen. Etwaige finanzielle Vorteile, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat, sind zu berücksichtigen.
  • Auch Leistungen einer eventuell einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters können in Betracht gezogen werden.
  • Außer Acht blieben jedoch staatliche Leistungen, die auf Darlehensbasis gewährt wurden.
  • Nicht erforderlich ist schließlich, dass eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters in Betracht kommt.

Anmerkung

Die Entscheidung des BGH ist aus Sicht der Praxis zu begrüßen, weil sie Rechtssicherheit schafft. Die Frage nach der Anwendbarkeit der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Fall von pandemiebedingten, behördlich angeordneten Geschäftsschließungen war bis jetzt heftig umstritten. Die Instanzgerichte kamen in der gesamten Bundesrepublik zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Rechtslage war unsicher und der Bundesgerichtshof hat mit den aufgestellten Kriterien zur Beurteilung der „Unzumutbarkeit“ ein Stück Klarheit geschaffen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs berücksichtigt gleichermaßen die Interessen von Mietern und Vermietern. Keine der beiden Seiten wird bevorteilt oder benachteiligt. Der Bundesgerichtshof gibt den Rechtsanwender:innen einen Leitfaden an die Hand, wie der Umfang von Vertragsanpassungen zu ermitteln ist. Ein Allheilmittel bietet das Urteil trotzdem nicht. Einer salomonischen Lösung, wie es etwa das Kammergericht Berlin mit einer pauschalen Anpassung der Miete auf 50 % vorsah, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich eine Absage erteilt. Ob und in welchem Ausmaß eine Vertragsanpassung geboten ist, kann nur in jedem konkreten Einzelfall individuell beantwortet werden. Das halten wir für richtig.

Die Interessen von Mieter und Vermieter sind bei der vorzunehmenden Abwägung gleichwertig zu berücksichtigen. Die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters infolge einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, z.B. einer vorübergehenden Betriebsschließung, geht über sein gewöhnliches Verwendungsrisiko hinaus. Sie beruht nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder Fehlvorstellungen über die zu erwartenden Gewinnaussichten. Dies führt aber nicht automatisch zu einem unbedingten Anspruch des Mieters auf die Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung. Vielmehr muss im Einzelfall festgestellt werden, inwiefern das Merkmal der „Unzumutbarkeit“ erfüllt ist.

Folgen für Mieter und Vermieter von Gewerberäumen

Für die Beratung von Mietern und Vermietern bringt die Entscheidung zumindest ein Stück mehr Rechtssicherheit. Es kann nun deutlich besser beurteilt werden, ob ein Gewerbemieter im Fall einer Betriebsschließung berechtigt war, coronabedingt die Miethöhe anzupassen und was für einen solchen Anspruch vorgetragen werden muss.

Klar ist nun, dass weder Mieter noch Vermieter vollständig für die Verwirklichung dieses allgemeinen Lebensrisikos einzustehen haben. Eine pauschale hälftige Teilung des Risikos zwischen den Vertragsparteien ist jedoch genauso wenig anzunehmen. Vielmehr muss in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände genau geprüft werden, ob und in welchem Ausmaß dem Mieter ein Anspruch auf Anpassung des Mietvertrages zusteht. Da die Beweislast für das Vorliegen des Merkmals „Unzumutbarkeit“ beim Mieter liegt, erhöht dies den Begründungsaufwand aufseiten des Mieters, wenn dieser die Miete anpassen will.

Mieter müssen genau dokumentieren können, welche konkreten Nachteile, z.B. Umsatzrückgänge gegenüber dem Vorjahr, ihnen während und aufgrund der Geschäftsschließung entstanden sind. Dabei sind auch staatliche Hilfen und Leistungen etwaiger Betriebsversicherungen zu berücksichtigen. Die Interessen des Vermieters kommen gleichermaßen zum Tragen. Hier können z.B. Zahlungsverpflichtungen des Vermieters aus einer Finanzierung der Immobilie berücksichtigt werden.

Das vorliegende Urteil des BGH bezieht sich zwar auf den Fall einer kompletten Geschäftsschließung während des ersten Lockdowns im März/April 2020. Die vom Gericht entwickelten Grundsätze könnten aber auch auf Fälle Anwendung finden, in denen pandemiebedingte staatliche Maßnahmen mit einer Betriebsschließung vergleichbaren schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen verbunden sind. KNAUTHE vertritt zahlreiche Mieter und Vermieter in mietrechtlichen Angelegenheiten zu den Folgen der Pandemie. Auch nach der Entscheidung des BGH dürfte es in vielen Fällen ratsam sein, eine einvernehmliche Lösungen mit Ihren Vertragspartnern zu suchen. Wir stehen Ihnen bei der gerichtlichen und außergerichtlichen Verfolgung Ihrer Interessen stets beratend zur Seite.

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Christian Pietsch, LL.M. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht pietsch@knauthe.com
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