Weder Vergütung noch Wertersatz trotz Leistungserbringung nach erfolgtem Widerruf!

1. Bei einem per E-Mail geschlossenen Architektenvertrag handelt es sich um ein Fernabsatzgeschäft, wenn die Parteien für den Vertragsschluss ausschließlich per Fernkommuni­kationsmittel kommuniziert haben.

2. Ein Verbraucher hat ein Widerrufsrecht, wenn er einen Fernabsatzvertrag geschlossen hat. Die Widerrufsfrist beträgt 14 Tage.

3. Der Verbraucher ist nach einem erklärten Widerruf nicht zur Zahlung von Architektenhonorar oder Wertersatz verpflichtet, wenn der Architekt den Verbraucher nicht ordnungsgemäß über die Bedingungen, Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie über die Pflicht zur Zahlung eines angemessenen Betrags für den Fall des Widerrufs informiert hat.

4. Einem Verbraucherwiderruf steht nicht entgegen, dass der Widerrufende als Rechtsanwalt tätig ist und somit über rechtliche Kenntnisse verfügt. Denn auch eine als Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin berufstätige Person ist grundsätzlich Verbraucher.

Landgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 26.06.2023, Az: 2-26 O 144/22

Sachverhalt

Die Parteien haben per E-Mail einen Architektenvertrag zum An- und Umbau eines Einfamilienhauses zu einem Drei-Familienhaus geschlossen. Die Beklagte sollte u.a. die Ausführungsplanung erstellen und eine bereits bestehende Genehmigungsplanung überarbeiten. Die Kläger sind Auftraggeber; der Kläger zu 2) ist von Beruf Rechtsanwalt. Bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben handelt es sich um eine Privatangelegenheit der Kläger. Eine Belehrung seitens der Beklagten über etwaige Widerrufsrechte ist nicht erfolgt.

Nachdem die Beklagte die Leistungsphasen 1 – 4 erbracht und abgerechnet hat und die Kläger hierfür Abschlagszahlungen geleistet haben, widerriefen die Kläger den Architektenvertrag und verlangten Rückzahlung der geleisteten Abschläge. Die Beklagte verweigerte die Rückzahlung unter Verweis auf § 312 Abs. 1 BGB und § 357a Abs. 2 BGB. Darüber hinaus sei die Ausübung eines Widerrufs durch einen Rechtsanwalt rechtsmissbräuchlich, § 242 BGB.

Entscheidung

Das Landgericht Frankfurt/Main gab den Klägern Recht und erläuterte anschaulich die Voraussetzungen eines Rückzahlungsanspruchs nach erklärten Widerruf gem. §§ 357 Abs. 1, 355 Abs. 1, Abs. 3 S. 1, 312, 312c, 312g Abs. 1 BGB.

Den Klägern stand gem. §§ 312, 312c, 312g Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht zu, weil es sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Architektenvertrag um ein Fernabsatzgeschäft handelt.

Die Kläger sind Verbraucher i.S.d. § 13 BGB. Dass der Kläger zu 2) als Rechtsanwalt tätig ist, hat auf seine Verbraucherstellung keinen Einfluss.

Unstreitig haben die Parteien den Vertrag ausschließlich per E-Mail geschlossen, sodass ein Fernabsatzvertrag i.S.d. § 312c BGB vorliegt. Soweit die Beklagte behauptet, bei ihrem Geschäftsmodell handle es sich nicht um ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem, ist ihr insofern der Nachweis nicht gelungen. Die Hürden für die Annahme eines solchen Ausnahmetatbestandes sind hoch. Solange die Möglichkeit gegeben ist, mit einem Unternehmer einen Vertrag per E-Mail abzuschließen, ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem vorliegt.

Obwohl der Widerruf der Kläger erst mehr als fünf Monate nach dem Vertragsschluss erfolgte, war dieser dennoch fristgerecht. Gem. § 355 Abs. 2 S. 1 BGB beträgt die Widerrufsfrist grundsätzlich 14 Tage und beginnt mit dem Vertragsschluss. Dies gilt jedoch nur, wenn der Unternehmer den Verbraucher entsprechend der Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EGBGB bzw. Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB unterrichtet hat. Fehlt, wie hier, eine solche Widerrufsbelehrung, erlischt das Widerrufsrecht gem. § 356 Abs. 3 S. 2 BGB erst spätestens 12 Monate und 14 Tage nach dem Vertragsschluss.

Aufgrund der fehlenden Belehrung durch die Beklagte schulden ihr die Kläger auch keinen Wertersatz nach § 357a BGB.

Rechtsmissbräuchliches Verhalten der Kläger i.S.d. § 242 BGB liegt nicht vor. Dass der Kläger zu 2) als Rechtsanwalt von seinem Widerrufsrecht Kenntnis hatte und nach Ansicht der Beklagten einer Belehrung nicht bedurft hätte, ist unerheblich. Auch ein Rechtsanwalt kann Verbraucher sein und verfügt über dieselben Rechte wie jeder andere Verbraucher.

Praxishinweis

Kein Geld trotz Leistungserbringung! Dass dieser Umstand keine unverhältnismäßige Sanktion des Unternehmers darstellt, hat auch der Europäische Gerichtshof erst kürzlich entschieden (EuGH, Urteil vom 17.05.2023 – C-97/22). Die Signalwirkung des Urteils des Landgerichts Frankfurt/Main beschränkt sich zudem keineswegs nur auf Architektenverträge, sondern betrifft alle Arten von Werkverträgen. Auch Bauunternehmen, die Verträge per E-Mail mit Verbrauchern schließen, müssen also aufpassen. Kleinste Fehler beim Vertragsschluss oder der Belehrung können gravierende Folgen haben!

Dürften die sog. „Haustürgeschäfte“ in der Baubranche noch selten sein, kommt der Vertragsschluss per E-Mail oder einem anderen Fernkommunikationsmittel weitaus häufiger vor. Vergisst der Bauunternehmer dann, den Verbraucher ordnungsgemäß zu belehren, kann dies weitreichende Folgen haben: Bei einem Widerruf müssen alle bisherigen Zahlungen an den Verbraucher zurückerstattet werden und der Unternehmer hat keinen Anspruch auf Wertersatz. Abhilfe schafft hier auch nicht der neu eingeführte § 357e BGB, der die Rechtsfolgen eines Widerrufs bei Verbraucherbauverträgen i.S.d. § 650i BGB regelt. Die Vorschrift begründet nach erfolgtem Widerruf einen Anspruch auf Wertersatz, unabhängig davon, ob der Unternehmer den Verbraucher zuvor über sein Widerrufsrecht belehrt hat. Allerdings ist § 357e BGB nur bei einem Widerruf gem. §§ 650l, 355 BGB anwendbar. Hat ein Bauunternehmer den Verbraucherbauvertrag jedoch per E-Mail geschlossen, sodass dem Verbraucher gleichzeitig ein Widerrufsrecht nach §§ 650l, 355 BGB als auch nach §§ 312, 312c, 312g Abs. 1 BGB zusteht, bleibt es bei dem Grundsatz „Kein Geld ohne Belehrung über das Widerrufsrecht!“

Drucken (PDF)

Publikationen