Der Bundesrat hat am 20. Dezember 2019 beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schriftformerfordernisses im Mietrecht beim Bundestag einzubringen (BR-Drs. 469/19). Der Gesetzesentwurf sieht u.a. die Streichung des § 550 BGB vor, der für das Gewerberaummietrecht sehr hohe Praxisrelevanz hat. Hat die sog. Schriftformkündigung damit bald ausgedient?
In diesem Beitrag geben wir einen kurzen Überblick zum Hintergrund der Regelung und zu den jüngsten Entwicklungen.
1. Hintergrund
Über § 578 Abs. 2 BGB findet die Vorschrift zur Schriftform (§ 550 BGB) auf Gewerberaummietverträge Anwendung. Diese Regelung sieht vor, dass Mietverträge, die für längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen worden sind, als auf unbestimmte Zeit geschlossen gelten und damit nach Ablauf eines Jahres ordentlich kündbar sind.
Sinn und Zweck des § 550 BGB ist primär der Schutz des potentiellen Erwerbers der Immobilie. Nach der Rechtsprechung soll ein späterer Grundstückserwerber aus den Vertragsurkunden ersehen können, in welche langfristigen Vereinbarungen er gem. § 566 Abs. 1 BGB eintritt, wenn diese im Zeitpunkt der Umschreibung des Grundstücks (noch) bestehen.
Sind wesentliche Vertragsbedingungen nicht schriftlich im Sinne des § 550 BGB niedergelegt, liegt ein Schriftformmangel vor. Dies führt im Ergebnis dazu, dass ein Mietvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und damit nach Ablauf eines Jahres ordentlich gekündigt werden kann auch wenn im Vertrag eine längere Festlaufzeit oder ein Kündigungsverzicht bzw. –ausschluss vereinbart worden ist. In der Rechtsprechung existiert eine umfangreiche Kasuistik zu der Frage, ob eine Vertragsbedingung „wesentlich“ ist und ein Schriftformmangel vorliegt.
Weit verbreitete Schriftformheilungsklauseln, nach denen sich die Parteien eines Mietvertrages verpflichten, etwaige Schriftformmängel zu beheben oder sich nicht darauf zu berufen, sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Regel unwirksam. Zudem ist § 550 BGB zwingendes Recht, d.h. es kann vertraglich nichts Abweichendes geregelt werden.
2. Der Interessenkonflikt bei § 550 BGB
Der Interessenkonflikt bei der Schriftformkündigung ist folgender: Allgemein soll der Mieter darauf vertrauen können, dass die Abreden, die er mit seinem Vermieter getroffen hat – egal in welcher Form sie getroffen wurden – Bestand haben. Der Erwerber einer Immobilie tritt mit Eintragung als Eigentümer im Grundbuch kraft Gesetzes in dieses Mietverhältnis ein (§ 566 Abs. 1 BGB) und ist an die bestehenden Vereinbarungen mit dem Mieter gebunden. Dadurch wird das verfassungsrechtlich verbriefte Eigentumsrecht (Art. 14 GG) des Erwerbers eingeschränkt. Das Gesetz sieht als Interessenausgleich vor, dass der Erwerber zwar an alle Abreden aus dem Mietverhältnis gebunden ist (auch wenn er diese nicht sämtlich kannte), dafür aber das Recht hat, das Mietverhältnis bei nicht schriftlich getroffenen Abreden vorzeitig zu kündigen. Nach der Rechtsprechung steht bei einem Schriftformmangel jeder Partei das Recht zur ordentlichen Kündigung zu.
In der Praxis ist die „Schriftformkündigung“ für viele Erwerber – aber auch im Bestandsmietverhältnis – ein probates Mittel, um wirtschaftlich unattraktive Mietverträge mit langer Laufzeit vorzeitig zu kündigen. Dies steht dem Interesse des Mieters entgegen, für den eine gewisse Dauer des Mietverhältnisses Voraussetzung für die Investition in Ein- und Umbauten und die Sicherung seines Gewerbestandortes ist. Aber auch umgekehrt: Ein Mieter, der Flächen mit langfristiger Bindung angemietet hat und sich vorzeitig aus dieser Vereinbarung lösen will, wird versuchen, eine Kündigung auf einen Schriftformmangel zu stützen. Dies kann den wirtschaftlichen Interessen des Vermieters entgegenstehen, für den die vereinbarte Laufzeit eine wichtige Grundlage für etwaige Investitionsentscheidungen darstellt, weil er durch sie für eine feste Zeit auf entsprechende Mieteinnahmen vertrauen kann, was insbesondere im Fall eines finanzierten Erwerbs von wesentlicher Bedeutung ist. Je nach Fallgestaltung birgt das Risiko einer Schriftformkündigung für die Parteien eine hohe Rechtsunsicherheit.
Die Rechtsfolgen dieser Kündigungspraxis werden von der juristischen Fachliteratur in weiten Teilen als rechtspolitisch unerwünscht erachtet. Die aktuelle Regelung des § 550 BGB ist daher heftiger Kritik ausgesetzt. Der Bundesrat beabsichtigt nun, die Regelung zur Schriftform durch Streichung des § 550 BGB zu modernisieren.
3. Stand des Gesetzesvorhabens
Bislang handelt es sich nur um einen Gesetzesentwurf des Bundesrates, der vom Land Nordrhein-Westfalen am 27.09.2019 initiiert wurde. Der Bundesrat hat am 20.12.2019 beschlossen, den Gesetzesentwurf nach Art. 76 Abs. 1 Grundgesetz beim Bundestag einzubringen und damit das förmliche Gesetzgebungsverfahren einzuleiten. Der Bundestag wird im Folgenden in Lesungen und in Ausschüssen über den Gesetzesentwurf beraten.
4. Zur Neuregelung im Einzelnen
Der Gesetzesentwurf sieht im Einzelnen folgende Regelungen vor:
• § 550 BGB wird aufgehoben.
• Dafür erhält § 566 BGB („Kauf bricht nicht Miete“) einen zusätzlichen Absatz 3: Hiernach kann der Erwerber das Mietverhältnis nach den gesetzlichen Vorschriften ordentlich (also ggf. vorzeitig) kündigen, wenn der Mietvertrag für längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen wurde.
• Das Kündigungsrecht ist auf den Erwerber, der nach § 566 Abs. 1 BGB in das Mietverhältnis eintritt, beschränkt. D.h. eine Schriftformkündigung durch die ursprünglichen Vertragsparteien ist damit nicht mehr möglich.
• Der Erwerber darf sich auf einen Schriftformmangel nur berufen, wenn er die Kündigung binnen drei Monaten nach Kenntnis des Schriftformmangels erklärt.
• Der Mieter kann dieser Kündigung binnen zwei Wochen nach Zugang der Kündigung widersprechen und sich mit der Fortsetzung des Mietverhältnisses zu den unter Wahrung der erforderlichen Schriftform getroffenen Vereinbarung bereit erklären. Dadurch verzichtet der Mieter auf nicht schriftformkonforme Zusatzvereinbarungen und führt den Vertrag zu den Konditionen fort, die sich aus dem schriftformkonformen Vertragsteil ergeben.
• Ist der Widerspruch des Mieters berechtigt, wird die Kündigung unwirksam.
• Eine Kündigung des Erwerbers ist ausgeschlossen, wenn sie auf Schriftformmängeln beruht, die nach dem Erwerb entstanden sind.
5. Kommentar
Der Gesetzesentwurf des Bundesrates ist ein begrüßenswerter Vorstoß, um den teilweise missbräuchlichen Umgang mit dem Schriftformerfordernis einzudämmen. Die neue Regelung greift den ursprünglichen Sinn und Zweck der Regelung (Schutz des Erwerbers im Sinne des § 566 Abs. 1 BGB) wieder auf und schafft zudem einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Mieter und Erwerber.
Die Neuregelung führt bei den betroffenen Mietern zu einem Verlust des Kündigungsrechts, da das Recht zur Schriftformkündigung auf den Erwerber, der nach § 566 BGB in das Mietverhältnis eintritt, begrenzt wird. Eine Kündigungsmöglichkeit des Mieters wegen Schriftformmängeln ist folgerichtig nicht vorgesehen.
Der Mieter erhält jedoch im Vergleich zur aktuell geltenden Rechtslage wesentlich mehr Rechtssicherheit, da er nach Ablauf von 3 Monaten nach Kenntnis des betreffenden Schriftformmangels durch den Erwerber mit einer Schriftformkündigung nicht mehr rechnen muss. Ein Risiko stellt dabei die Beweisbarkeit des Zeitpunkts der Kenntnis vom Schriftformmangel dar. Der Erwerber dürfte beweispflichtig für die Tatsache sein, dass seine Kündigung fristgerecht erfolgt ist.
Selbst bei Vorliegen eines Schriftformmangels und rechtzeitig ausgesprochener Kündigung des Erwerbers kann der Mieter die vorzeitige Vertragsbeendigung verhindern, indem er der Kündigung widerspricht. Dann wird das Vertragsverhältnis ohne die schriftformwidrige Vereinbarung fortgesetzt. Dies kann unter Umständen auch Nachteile für den Mieter haben, wenn die schriftformwidrige Abrede beispielsweise in der Anmietung von Zusatzflächen liegt, die der Mieter seit geraumer Zeit nutzt. Dann würde der Widerspruch gegen die Schriftformkündigung zur Folge haben, dass der Mieter die Zusatzflächen ohne Rechtsgrund nutzt und an den Erwerber herauszugeben hat. Der Mieter kann jedoch entscheiden, wie er auf eine Schriftformkündigung reagieren will.
Mit der beabsichtigten Gesetzesänderung ist jedoch keine Auflockerung des Schriftformerfordernisses im Gewerberaummietrecht verbunden. In der Vertragsgestaltungspraxis wird man weiter darauf achten müssen, Vereinbarungen im Gewerberaummietrecht, insbesondere Nachträge zum Mietvertrag, in schriftlicher Form abzuschließen.
Die Unterlagen zum Gesetzesvorschlag finden Sie auf der Seite des Bundesrats.